Der Tod muss ein Falco sein
Zwei Wochen nach meinem siebzehnten Geburtstag hörte ich im Radio die Nachricht, dass der Wiener Künstler Falco bei einem Autounfall in der Dominikanischen Republik gestorben war. Damals hatte ich keine genaue Vorstellung, wo die Dominikanische Republik lag, oder wie groß Falco wirklich war. Zu meiner Verteidigung: letzteres wussten wir damals alle noch nicht.
Seit drei Tagen ist Falco 20 Jahre tot – und es fühlt sich eigentlich viel länger an. Obwohl er ja irgendwie immer noch da ist: bei jedem U4 Besuch hofft man, um fünf in der Früh aus der Disko torkelnd, dass er gerade in diesem Moment beim Ausgang stehen wird, um sich noch schnell eine Zigarette anzuzünden. Dass er auf ein letztes Plauscherl mit dem legendären Türsteher stehengeblieben ist, bevor er nachhause geht. Natürlich ist er dann doch nicht mehr da, und der breitgebaute Mann am Eingang ist auch ein anderer als damals. Unregelmäßigkeiten in der Logik des menschlichen Denkens sind jedoch erlaubt, wenn es um das Leben von Österreichs größtem Pop Star aller Zeiten geht: Erst verlacht und vernadert, dann Superstar, dann One-Hit-Wonder, dann Weltstar, und schließlich unsterbliche Legende – letzteres allerdings zum Preis des eigenen Lebens.
Was soll man denn noch singen?
Ganz egal, was wir tun und was wir von ihm denken, er jedenfalls hat es hinter sich. Er muss sich keine Sorgen mehr machen über den nächsten Hit oder darüber, dass ihm nichts mehr einfallen könnte. Ein Toter kann schließlich nichts Neues liefern, das verlangen nicht einmal die gestrengen Wiener, und auch er selbst, der Strengste von allen, kann es jetzt nicht mehr von sich selbst erwarten. Die zu Lebzeiten produzierten Hits reichen ohnehin, um ihn bis in alle Ewigkeit auf Platz 1 der Charts des kollektiven Erinnerungsvermögens zu behalten. Auch wenn sich die Weltberühmtheit mittlerweile hauptsächlich auf Österreich beschränkt, wird ihm zumindest hierzulande lange niemand das Wasser reichen können. Der aktuelle Nachwuchs heißt Nino aus Wien, Voodoo Jürgens oder Wanda – die Letzteren haben sogar einen ähnlichen Start hinlegt: mit einem gefeierten ersten Album und einem dahinplätschernden zweiten gingen sie ganz kurz als lässig durch, auch wenn mittlerweile schon wieder die Augen verdreht werden, wenn der DJ aus Versehen „Bussi Baby“ auflegt. Schnell wird dann leiser gedreht, der Legendenstatus wird sich für die Lederjackenfraktion nicht mehr ausgehen. „Was soll man denn noch singen?“, fragt dagegen Nino aus Wien, der gelegentlich zumindest genauso verloren dreinschauen kann wie der Kommissar. Gesungen wurde tatsächlich schon so viel auf der Welt und in Österreich, und wenn auch nicht alles von Falco kam, dann doch zumindest das Meiste. Eine derartige Vergötterung wie die von Hans Hölzel ist beispiellos in einem Land, in dem man erst sterben muss, dass sie einen hochleben lassen.
Mozart ist nur eine Schokoladekugel
Durch den Tod wird der sonst so kritische Österreicher großzügig, das Verhältnis zum Jenseits ist hierzulande sowieso ein freundschaftliches. Neid und Missgunst, die Ureigenschaften der Wiener, sind auch nicht mehr notwendig, denn auf einen Verstorbenen kann man schlecht eifersüchtig sein. Mit Mozart, Freud, Haydn, Hundertwasser, Klimt oder Zweig ist Österreichs Geschichte voller Künstler von Weltformat, die es auch irgendwann zusammengebracht haben zu sterben. Dennoch existiert zu keinem von diesen eine ähnliche emotionale Bindung – Mozart musste gar erst von Falco besungen werden, um als cool durchzugehen, trotzdem ist er heute nicht viel mehr als das Verpackungsmaterial für eine Schokoladenkugel. Falco dagegen ist weniger ein Star, sondern mehr ein Familienmitglied von acht Millionen Österreichern.
Der Wiener Schmäh gehört den Briten
Eines ist sicher: Wir lieben Falco, zumindest das Bild von ihm, das wir uns in langer Verklärungsarbeit aufgebaut haben, und jedes Jahr, in dem sein Leben weiter weg rückt, scheint er um noch ein paar Zentimeter zu wachsen. Kaum besteht die Gefahr, dass er nur ein kleines bisschen verblassen könnte, gibt es irgendein Todes-, Lebens- oder sonstiges Jubiläum, wegen dem die Ö3 Playlists synchronisiert werden und wir Texte wie diesen schreiben. Diese unerschütterliche Liebe zu Falco rührt auch daher, dass er ein Bild von dem Wien verkörpert, das so schwer in Worte zu fassen ist, das aber genau das widerspiegelt, was diese Stadt so faszinierend macht. Was gibt es denn eigentlich so Tolles in Wien? Wofür seid ihr denn bekannt? Gibt’s bei euch noch was anderes außer Schnitzel – wer viel im Ausland unterwegs ist, der hat solche Fragen schon gehört. Wie gern würden wir dann loslegen und von Wien, nur Wien, du kennst mich up kennst mich down singen. Von jungen Römern, die durch die Stadt ziehen. Stattdessen stammeln wir etwas von haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen, referieren über jahrhundertealte Kaffeehauskultur, Schönbrunn und einem Opernhaus, das unverständlicherweise niemand zu kennen scheint, obwohl es doch weltberühmt ist. Wir langweilen uns selbst mit unserem leblosen Wikipedia Vortrag, und wen wundert’s, den Wiener Schmäh haben in Wahrheit doch schon vor hundert Jahren die Briten für sich reklamiert. Ohne Anleitung laufen wir in unserer Wien-Interpretation in ein Missverständnis, taumeln um vier in der Früh nach literweise Schnaps und Bier versoffen am Tresen herum und halten uns weichgezeichnet durch die verzeihende Wirkung des Alkohols für Jonny Depp – oder eben für Falco. Doch keiner hängt so schön an der Budel wie er, bei ihm kommt die Wiener Arroganz und Überheblichkeit endlich so rüber, wie sie schon immer gemeint war: lässig, mit einem Augenzwinkern und einer gehörigen Portion Selbstverachtung – und und vor allem unendlich viel Charme. Falco bringt all das unter einen Hut, als ein zerrissener Künstler, der sich selbst nie genug war, und der diesen Missstand nur hinter einem Schutzpanzer der Überheblichkeit verstecken konnte. Falco ermöglicht uns das, was wir am liebsten tun: mit verklärtem Blick in einer Vergangenheit schwelgen, die immer besser sein wird, als die Gegenwart.