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Wien can be friendly…just for one day


Im Lied „Heroes“ singt David Bowie von den Helden, die wir alle zumindest einen Tag lang sein könnten. Es ist nicht anzunehmen, dass der Popstar beim Schreiben seines Welthits an Wien gedacht hat, auch wenn die Überschrift dieses Textes darauf hindeutet. Bekanntlich galt Bowies Liebe weniger der beschaulichen österreichischen Hauptstadt, als vielmehr dem heroischen Berlin, wo man zu cool ist, um schlecht drauf zu sein. Hierzulande dagegen muss man weder ein Held, noch freundlich sein – Wien hat sich seine einzigartige Mischung aus arrogantem Größenwahn, vernichtendem Minderwertigkeitskomplex, und dem alle Gesellschaftsschichten durchdringenden Grant bewahrt. Doch wie hat das eigentlich alles angefangen? Wann haben die Wiener gesagt, so, wir sind jetzt die Hauptstadt des Suderns?

"1. Wiener Tag der Freundlichkeit: Lächelt euch an, lasst die Leute aus der Ubahn aussteigen, wartet auf die zweite Kassa, anstatt nach ihr zu schreien"

Von der Midlife Crisis direkt in die Pension

In Wien sind meistens die Ausländer schuld, wenn es irgendwelche Probleme oder Missstände zu beklagen gibt. Zwar haben auch andere Einwandererstädte wie New York den Ruf, freundliche Bewohner nicht gerade am Laufband zu produzieren, doch als Wiener weiß man es besser: wer durch die harte Schule der Donaumetropole sozialisiert wurde, fühlt sich zwischen dem East- und Hudson River stehend so, als würde einem permanent der rote Teppich ausgerollt werden. Da hilft es auch nichts, wenn die New Yorker noch so vehement beschwören, dass ihre Stadt die unfreundlichste der Welt wäre. Die Amerikaner sind hervorragende Verkäufer, sie glauben fest an das, was sie sagen. Aber ihr Land ist viel zu jung und alles ist noch zu aufregend, sodass es keinen Grund gibt, deprimiert zu sein. Sogar die Obdachlosen dort stehen stolz an den Straßenecken und haben das Gefühl, als würden sie eine wichtige Rolle in einem Hollywoodfilm einnehmen. Amerika und New York sind gerade einmal im Teenageralter, Wien dagegen hat die Midlife Crisis schon lange hinter sich und lebt von den Pensionszahlungen vergangener, ruhmvollerer Generationen.

"In Wien trifft quasi die Verzweiflung eines halben Kontinentes aufeinander"

Auch geographisch sind wir nicht gerade vom Schicksal begünstigt: während nach New York vorwiegend Menschen aus sonnigen Ländern aus dem Süden einwanderten, ließen sich in Wien hauptsächlich Ungarn, Polen, Tschechen und andere Völker nieder, die selbst nicht gerade für ihre ausgelassene Grundstimmung und positive Lebenseinstellung bekannt sind. In Wien trifft quasi die Verzweiflung eines halben Kontinentes aufeinander – wen wundert es angesichts dieser Mélange de Tristesse, dass wir beim Billa nicht freundlich nach einer weiteren Kassa fragen, sondern ein genervtes „Kassa!“ gegen das nächststehende Regal bellen.

Wien sehen und sterben

Durch all dieses eingebildete Elend umgibt Wien aber auch eine Poesie, die in ihrer Zerrissenheit in kaum einer andere Stadt auf der Welt zu finden ist. Alleine das Wort „Wien“ zieht sich schon wie der Hauch eines lauen Sommertages durch den Mund, sogar an einem eisigen Wintermorgen wie dem heutigen an dem man feststellen muss, dass sogar der Frühling erst mit zehnjähriger Verspätung in Wien ankommt. Die vorherrschenden Berufswünsche hierzulande sind ebenfalls poetischer Natur: Dichter, Filmregisseur – oder zumindest irgendwas mit Medien, wenn alles andere scheitert. In jedem Kaffeehaus zwischen Simmering und Ottakring sitzt ein einsamer Literat, der sich im Falle einer Schreibblockade, mit einem Stück weißen Papier ringend, zumindest an einer bereits bedruckten Zeitung festhalten kann. Für die Erlangung eines Literaturnobelpreises sind der Grant und die ewige Unzufriedenheit der Stadt jedenfalls unumgänglich, denn wer liest schon gerne ein Buch über jemanden, der so richtig gut drauf ist? Dreckig gehen muss es dem Protagonisten, ein Schicksalsschlag soll den nächsten jagen, erst dann blüht das Herz des Lesers auf – und das gilt ausnahmsweise nicht nur für die Wiener.

"Genauso, wie wir stolz auf unsere Griesgrämigkeit sind, feiern die Bewohner Glasgows ihre eigene Freundlichkeit"

Whiskey und ein Lächeln

Es gibt ja auch Städte, in denen es anders läuft. In Glasgow zum Beispiel, dieser vergessenen Stadt im Norden Schottlands. Dort gibt es kaum etwas, auf das die Bewohner wirklich stolz sein können, außer dem allgegenwärtigen Whiskey natürlich, aber den kennt ohnehin jeder. Und weil dieser eben sogar bei den hartgesottenen Schotten nicht zu jeder Tageszeit fließen kann, mussten die Glasgower kreativ werden in ihrer Selbstvermarktung: sie entschieden sich dazu, die freundlichste Stadt in Großbritannien zu werden. Im Gegensatz zu Wien werden große Visionen in den Highlands offenbar erfolgreich umgesetzt, denn kaum steht man als Tourist etwas verloren dreinblickend an einer Straßenkreuzung herum, kommt schon der erste Schotte heranspaziert und fragt, ob man sich verirrt hat. Verstehen tut man ihn kaum, da der lokale Dialekt genauso schön wie unverständlich ist, hier wird gesungen statt gegrantelt, aber allein die Freundlichkeit der Stimmlage bringt sogar die harte Seele des Wieners zum Leuchten. Es ist in der Tat so: genauso, wie wir stolz auf unsere Griesgrämigkeit sind, feiern die Bewohner Glasgows ihre eigene Freundlichkeit – neidlos muss anerkannt werden: die da oben haben das irgendwie besser hinbekommen. Obwohl das Wetter noch schlimmer ist, als in Wien.

West Highland Way, Glasgow, United Kingdom

Auch wenn Wien ohne den Grant eben nicht Wien wäre, wollen wir einen Tag lang versuchen freundlich zu sein. Die Wiener Alltagspoeten erklären deshalb den 23. März zum 1. Wiener Tag der Freundlichkeit. Lächelt euch an, lasst die Leute zuerst aus der Ubahn aussteigen, verwendet das Wort „bitte“ und wartet auf die zweite Kassa, anstatt nach ihr zu schreien. Just for one day. #wiencanbefriendly

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